(Drohende) Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung – Die Insolvenzeröffnungsgründe

Die Akteure in einer Unternehmenskrise werden häufig mit den Rechtsbegriffen der Zahlungsunfähigkeit, der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung konfrontiert. Die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und die Überschuldung (§ 19 InsO) führen zu einem Antragsrecht der Gläubiger und zugleich zu einer Antragspflicht für Organe einer juristischen Person (z.B. GmbH, AG). Die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) berechtigt zudem ausschließlich den Schuldner einen Insolvenzantrag zu stellen. Was genau hinter diesen Begriffen steckt, ist Gegenstand dieses Blogbeitrags.

 

1. Zahlungsunfähigkeit

Nach §§ 16, 17 InsO ist die Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzeröffnungsgrund. Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.

Kurz gesagt: Die Zahlungsunfähigkeit fragt, ob der Schuldner genügend Geldmittel zur Begleichung seiner fälligen Verbindlichkeiten hat. Bei der Betrachtung werden die verfügbaren Zahlungsmittel (Bargeld, Bankguthaben, freie Kreditlinien; sog. Aktiva I), aber auch die innerhalb von drei Wochen liquidierbaren Mittel (verwertbares Vermögen, Forderungseinzug und kurzfristig beschaffbare Kredite; sog. Aktiva II) mit den fälligen Zahlungspflichten des Schuldners am Stichtag (sog. Passiva I) und innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdende Zahlungspflichten (sog. Passiva II) gegenübergestellt.

Ist der Schuldner bloß zahlungsunwillig, weil er den Anspruch des Gläubigers für unbegründet hält oder weil er aus anderen Gründen – außer seinem Unvermögen – nicht leistet, ist er nicht zahlungsunfähig.

Die Verbindlichkeiten sind in der Gegenüberstellung nur zu berücksichtigten, wenn sie fällig sind. Das fordert nach der Rechtsprechung, dass die Gläubiger sie „ernsthaft einfordern“. Die Übersendung einer Zahlungsaufforderung oder Kündigung ist aber bereits ausreichend.

Die Rechtsprechung gesteht dem Schuldner zu, dass bei einer nur vorübergehenden Zahlungsstockung kein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Eine Zahlungsstockung liegt dann vor, wenn binnen eines Zeitraums von drei Wochen damit zu rechnen ist, dass Verpflichtungen weit überwiegend wieder erfüllt werden können. Die Überschreitung der Drei-Wochen-Frist ist ausnahmsweise zulässig, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

Zudem besagt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Zahlungsunfähigkeit nur dann vorliegt, wenn die Liquiditätslücke wesentlich ist. Kann ein Schuldner weniger als 90 % seiner fälligen Verbindlichkeiten begleichen, so ist Zahlungsunfähigkeit gegeben, es sei denn, es liegen Umstände vor, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Liquidität in absehbarer Zeit wiederhergestellt wird.

Stellt der Schuldner seine Zahlungen ein, so wird gem. § 17 Abs. 2 S. 2 InsO vermutet, dass er zahlungsunfähig ist.

Beispiel:

Das Unternehmen A ist laufend dazu verpflichtet, Forderungen von seinem Lieferanten B aus einem Lieferantenvertrag und von seiner Bank C aus einem Darlehensvertrag zu erfüllen. Bisher war Unternehmen A dazu imstande, diese Forderungen durch den Verkauf eigener Produkte und Dienstleistungen zu bedienen. Es kommt dazu, dass das Unternehmen A im Laufe der Zeit immer weniger Zahlungseingänge verzeichnen kann und der Umsatz einbricht. Dadurch kann das Unternehmen A die ausstehenden Forderungen von Lieferant B und Bank C zu über 90 % nicht mehr begleichen. Eine Verbesserung der Liquidität in den nächsten drei Wochen ist nicht abzusehen. Das Unternehmen A ist zahlungsunfähig.

 

2. Drohende Zahlungsunfähigkeit

Nach §§ 16, 18 InsO ist auch die drohende Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzeröffnungsgrund.

Dem Schuldner droht Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Maßgeblich ist, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher sein muss als deren Vermeidung.

Für die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel die Aufstellung eines Finanzplans erforderlich. Als anzusetzende Zahlungsmittel kommen – wie bei der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO – alle liquiden Mittel in Betracht. Weiterhin können alle mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Zuflüsse angesetzt werden. Als Zahlungsverpflichtungen gelten alle bereits entstandenen und überwiegend im Prognosezeitraum wahrscheinlich entstehenden Zahlungspflichten. In aller Regel wird ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde gelegt (§ 18 Abs. 2 S. 2 InsO). In atypischen Fällen darf der Prognosezeitraum anders bestimmt werden.

Beim Insolvenzeröffnungsgrund gem. § 18 InsO kommt dem Schuldner ein alleiniges Antragsrecht, aber keine Antragspflicht zu. Alternativ zum Insolvenzantrag kann das schuldnerische Unternehmen auch Restrukturierungsmaßnahmen nach dem sog. Unternehmensstabilisierungs- und ‑restrukturierungsgesetz (StaRUG) durchführen. Der drohend zahlungsunfähige Schuldner bekommt durch das StaRUG, anders als bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, die Möglichkeit zu einer umfassenden (außergerichtlichen) Schuldenbereinigung ohne den „Makel“ einer Insolvenz.

Beispiel:

Das Unternehmen A ist überwiegend vom Kunden B wirtschaftlich abhängig. Kunde B beendet plötzlich und ohne vorherige Ankündigung die Zusammenarbeit mit Unternehmen A zum Jahresende. Für das Unternehmen A besteht nun die überwiegend wahrscheinliche Gefahr, innerhalb der nächsten 24 Monate diesen sich abzeichneten Liquiditätsverlust nicht mehr ausgleichen zu können. Das Unternehmen A ist drohend zahlungsunfähig.

 

3. Überschuldung

Aus §§ 16, 19 Abs. 1 InsO ergibt sich, dass die Überschuldung einen Insolvenzeröffnungsgrund bei juristischen Personen darstellt. Der Anwendungsbereich erstreckt sich gem. § 19 Abs. 3 InsO daneben auch auf Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, wie beispielsweise im Fall der GmbH & Co. KG. Daneben können auch Genossenschaften, Stiftungen und Vereine betroffen sein.

Der Begriff der Überschuldung wird in § 19 Abs. 2 S. 1 InsO definiert. Eine Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Im Rahmen der Prüfung, ob der Insolvenzeröffnungsgrund i.S.d. § 19 InsO einschlägig ist, bedarf es einer rechnerischen Überschuldung (Vergleich Aktiva und Passiva) sowie einer sog. negativen Fortbestehensprognose (sog. modifizierter zweistufiger Überschuldungsbegriff).

Zur Feststellung des Überschuldungsstatus wird eine auf den Stichtag zu erstellende, bilanzielle Vermögensübersicht aufgestellt. Diese Bilanz stellt das gesamte Vermögen und die gesamten Verbindlichkeiten der juristischen Person oder der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit gegenüber. In der Regel wird auf die Handelsbilanz des Unternehmens zurückgegriffen und die dortigen Ansätze und Bewertungen mit Hilfe Überleitungsrechnung an die Besonderheiten des Insolvenzrechts angepasst. Sofern sich aus dieser bilanziellen Vermögensübersicht ein negatives Vermögen ergibt, fällt der Überschuldungsstatus negativ aus.

In der zweiten Stufe wird sodann geprüft, ob die sog. Fortbestehensprognose ebenfalls negativ ist. Maßgeblich ist zunächst, ob überhaupt ein Fortführungswille auf Seiten des Schuldners bzw. seiner Organe besteht. Durch eine Prognose muss der Fortbestand des Unternehmens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Maßgeblich ist, ob das infrage stehende Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein wird, seine bestehenden und zukünftigen Verbindlichkeiten zu erfüllen (Zahlungsfähigkeitsprognose). Dies kann anhand eines zu erstellenden Finanzplans ermittelt werden, in dem auf Basis einer aussagefähigen Unternehmensplanung die erwarteten Ein- und Auszahlungen gegenüberzustellen sind. Wenn die Krise bereits soweit fortgeschritten ist, dass auch Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO vorliegt, ist die Fortbestehensprognose ebenfalls negativ. Anders als bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO wird bei der Fortbestehensprognose nicht nur auf die nächsten drei Wochen abgestellt, sondern nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf die kommenden zwölf Monate. Kurz gesagt: Voraussetzung für eine positive Fortbestehensprognose ist die objektive Überlebensfähigkeit des Unternehmens.

Fallen sowohl der Überschuldungsstatus als auch die Fortbestehensprognose negativ aus, so liegt eine Überschuldung nach § 19 InsO vor.

Beispiel:

Das Unternehmen A hat einen ständig steigenden, nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag zu verzeichnen. Eine bereits bestehende Verschuldung deutet grundsätzlich nicht zwingend auf eine insolvenzrechtliche Überschuldung hin, ist aber Anlass zur Überprüfung des Überschuldungstatbestands durch Erstellung einer Überschuldungsbilanz. Das Unternehmen A beauftragt pflichtgemäß einen auf das Insolvenzrecht spezialisierten Rechtsanwalt. Dieser stellt fest, dass innerhalb der nächsten zwölf Monate nicht mit der Fähigkeit des Unternehmens, die fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen, zu rechnen ist. Es liegt eine insolvenzrechtliche Überschuldung vor.

 

Wir beraten Sie gerne auf dem Gebiet des Insolvenzrechts. Insbesondere begleiten wir Sie auch in der vorgelagerten Krise und erörtern mit Ihnen Sanierungsoptionen. Bitte vereinbaren Sie einen Termin mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Maximilian Maierhofer.

 

Dieser Blogbeitrag wurde erstellt durch Herrn Rechtsanwalt Dr. Maximilian Maierhofer mit freundlicher Unterstützung von Frau Simona Heusslein.

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