Arbeitgeberinsolvenz – Kündigungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters und Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber in der Insolvenz

Kommt es zur Insolvenz des Arbeitgebers, gerät das Umfeld, allen voran die Arbeitnehmer, in Unruhe. Dem besorgten Arbeitnehmer stellen sich in dieser nicht alltäglichen Situation brennende Fragen. Die im ersten Moment zentrale Frage ist sicherlich die nach dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Aber auch die Frage, wie es sich um die den Arbeitnehmern zustehenden Vergütungs- und sonstige Ansprüche gegen den Arbeitgeber in der Insolvenz verhält, treibt viele Arbeitnehmer um.

Dieser Blogbeitrag soll einen Überblick über die Kündigungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters (hierzu unter I.), die Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber in der Insolvenz (hierzu unter II.) sowie den Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenzgeld (hierzu unter III.) verschaffen.

Für den betroffenen Arbeitnehmer gibt es zahlreiche Rechte, die ihm auch in der Insolvenz zustehen. Zur Geltendmachung dieser Rechte empfiehlt sich die frühzeitige Hinzuziehung eines auf das Insolvenz- oder Arbeitsrechtsrecht spezialisierten Rechtsanwalts, der dem Arbeitnehmer zur Wahrnehmung seiner Rechte verhilft (hierzu unter IV.).

I. Kündigungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters

Zunächst führt weder der Insolvenzantrag noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das zuständige Insolvenzgericht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Allerdings ergeben sich aus dem Insolvenzrecht durchaus tiefgreifende Abweichungen zum allgemeinen Arbeitsrecht, die je nach zeitlicher Lage des Verfahrens unterschiedlich ausfallen. Das nachstehende Schaubild zeigt zunächst in den gröbsten Zügen die verschiedenen Verfahrensstadien einer Unternehmensinsolvenz.

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Im Zusammenhang mit den Kündigungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters soll lediglich die rechtliche Situation im eröffneten Verfahren besprochen werden. Kündigungen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter sind in der Praxis ohnehin eher selten anzutreffen, da der Verwalter durch das Instrument des (vorfinanzierten) Insolvenzgeldes in der Regel die Belegschaft während dieser Zeit für drei Monate „kostenlos“ beschäftigen kann.

Wird das Insolvenzverfahren durch das Gericht eröffnet, geht die Kündigungsbefugnis endgültig auf den Insolvenzverwalter über. Dieser kann aber auch nicht willkürlich Kündigungen aussprechen, sondern muss die – auch außerhalb der Insolvenz geltenden – Kündigungsschutzvorschriften beachten.

Eine erhebliche Kündigungserleichterung stellt allerdings § 113 Insolvenzordnung (InsO) dar. Der Insolvenzverwalter kann den Arbeitsvertrag im eröffneten Verfahren mit einer Frist von drei Monaten kündigen, wenn nicht ohnehin bereits eine kürze Frist einschlägig ist. Die Vorschrift kürzt nicht nur die Kündigungsfrist vieler Arbeitsverträge ab, sondern durchbricht auch den grundsätzlichen Kündigungsschutz von befristeten und unkündbaren Arbeitsverhältnissen.

Gleichwohl muss im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) ein Kündigungsgrund vorliegen. Für das Insolvenzarbeitsrecht ist die betriebsbedingte Kündigung am praxisrelevantesten. Die Insolvenz selbst ist aber kein „dringend betriebliches Erfordernis“ im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG. Notwendig ist auch im Insolvenzarbeitsrecht für ein „dringend betriebliches Erfordernis“, dass der Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers weggefallen ist. Dies ist im Einzelfall zu prüfen. Ein Sonderfall stellt dabei die Betriebsschließung dar. Sollte der Betrieb insgesamt stillgelegt werden, z.B. bei einer Liquidierung, bedarf es keiner Sozialauswahl. Zudem liegt der Wegfall des Arbeitsplatzes auf der Hand.

Neben dem KSchG muss der Insolvenzverwalter natürlich auch die Sonderkündigungsschutzvorschriften und behördliche Zustimmungsvorbehalte beachten (z.B. Kündigungsverbot von Schwangeren, Elternzeitlern, schwerbehinderten Menschen, betrieblichen Funktionsträgern u.a.), wobei auch in diesem Zusammenhang in der Regel die Betriebsschließung eine Kündigung rechtfertigen kann.

II. Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers in der Insolvenz

Neben der Frage des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses drängt sich für den betroffenen Arbeitnehmer die Frage nach der Entlohnung auf. Nicht selten hat der Arbeitgeber schon in der Unternehmenskrise nicht mehr vollständig oder gar nicht das Arbeitsentgelt entrichtet. Ob der Arbeitnehmer seinen Anspruch im Insolvenzverfahren werthaltig durchsetzen kann, hängt vordergründig davon ab, in welchem Verfahrensstadium der Anspruch entstanden ist.

Maßgeblich ist die Unterscheidung zwischen solchen Ansprüchen, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind (sog. Masseverbindlichkeiten gem. § 55 InsO) und solchen Ansprüchen, die bereits zu einem Zeitpunkt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind (sog. einfache Insolvenzforderungen gem. § 108 Abs. 3 InsO). Im vorläufigen Insolvenzverfahren hängt die Einordnung davon ab, ob der vorläufige Insolvenzverwalter zur Begründung von Masseverbindlichkeiten berechtigt war (sog. starker oder halbstarker vorläufiger Insolvenzverwalter).

Hat der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber, der an die Stelle eines Vergütungsanspruchs aus dem zugrundeliegenden Arbeitsverhältnis getreten ist, wird dieser Schadensersatzanspruch im Insolvenzarbeitsrecht ebenso wie ein Vergütungsanspruch behandelt. Im Ergebnis wird der Schadensersatzanspruch zu dem Zeitpunkt zugeordnet, auf den sich der ursprünglich bestehende Vergütungsanspruch bezogen hat.

1. Ansprüche vor Insolvenzantragsstellung (Unternehmenskrise)

Die Vergütungsansprüche, die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, sind sog. einfache Insolvenzforderungen gem. § 108 Abs. 3 InsO.

Solche Vergütungsansprüche werden nach der Insolvenzordnung nicht bevorzugt behandelt. Sie sind beim Insolvenzverwalter anzumelden und müssen vom Insolvenzverwalter als berechtigt anerkannt oder im Falle des Bestreitens gerichtlich festgestellt werden. Eine rückständige Vergütung kann erst dann aus dem verbliebenen Arbeitgebervermögen ausgezahlt werden, wenn die Kosten des Insolvenzverfahrens und der Masseverbindlichkeiten beglichen worden sind. In der Regel können Vergütungsforderungen aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung nicht oder nur zu einem geringen Teil ausgezahlt werden. Der Arbeitnehmer erhält grundsätzlich auf diese Forderung nur die sog. Insolvenzquote ausbezahlt.

2. Ansprüche im vorläufigen Insolvenzverfahren (Eröffnungsverfahren)

Das Insolvenzeröffnungsverfahren nimmt eine Sonderstellung ein. Die Zeit zwischen Insolvenzantrag und Eröffnungsbeschluss wird häufig durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter begleitet. Die Einordnung der Arbeitnehmeransprüche als Masseverbindlichkeit oder einfache Insolvenzforderung hängt von der Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ab. Ist der Verwalter vom Insolvenzgericht mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet, begründet er Masseverbindlichkeiten (sog. starker oder halbstarker Insolvenzverwalter). In der Insolvenzpraxis wird der Vergütungsanspruch aber ohnehin durch das vorfinanzierte Insolvenzgeld ersetzt (hierzu ausführlicher unter III.). Ausfälle seiner Vergütung hat der Arbeitnehmer in der Regel für den Zeitraum der Insolvenzgeldzahlung nicht zu erwarten.

3. Ansprüche nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Setzt der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst fort, so werden die Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers als Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO behandelt und vorrangig aus der Masse bezahlt.

Derartige Vergütungsansprüche aus der Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden und müssen nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Die Ansprüche werden vorab, d.h. vor den einfachen Insolvenzforderungen, aus der Insolvenzmasse befriedigt. Die Ansprüche auf Sonderzahlungen (z.B. Boni), die nach Eröffnung des Verfahrens entstanden sind, können ebenso auf diese Weise gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.

Weiterhin können Urlaubsentgelt- und Urlaubsabgeltungsansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit geltend gemacht werden. Der Anspruch auf Zahlung des Entgelts während des Urlaubs, das sog. Urlaubsentgelt, ist eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Auf Antrag des Arbeitnehmers muss der Insolvenzverwalter den Urlaub erteilen und das dem Arbeitnehmer zustehende Urlaubsentgelt aus der Insolvenzmasse zahlen. Beim Urlaubsabgeltungsanspruch handelt es sich ebenfalls um eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, sofern das Arbeitsverhältnis erst in der Insolvenz beendet wurde.

III. Anspruch auf Insolvenzgeld gem. § 165 SGB III

In der Insolvenz hat der Arbeitnehmer gegen die Bundesagentur für Arbeit einen Anspruch auf Insolvenzgeld i.S.d. § 165 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Das Insolvenzgeld sichert die Vergütungsansprüche aus der Zeit der letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis und muss bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden. Bei Antragstellung muss eine Ausschlussfrist von zwei Monaten, abhängig vom Insolvenzereignis, beachtet werden.

Das Insolvenzgeld wird gem. § 165 SGB III unter drei Voraussetzungen ausgezahlt: Es muss sich um eine inländische Beschäftigung handeln und beim Insolvenzereignis müssen für die vorangegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Entgeltansprüche bestehen. Als Insolvenzereignis nach § 165 Abs. 1 S. 2 SGB III gelten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Abweisung des Antrags mangels Masse oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Insolvenzantrag nicht gestellt wurde und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.

Die Höhe des Insolvenzgelds entspricht dem Nettoarbeitsentgelt, das wiederum von der Höhe der arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütung abhängig ist (§ 167 SGB III).

Der Anspruch auf das Insolvenzgeld kann unter anderem gem. § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis selbst beendet hat.

Die Auszahlung des Insolvenzgeldes setzt – wie erläutert – das Vorliegen eines Insolvenzereignisses voraus. Um die Fortführung des Unternehmens zu gewährleisten und damit die Arbeitsplätze dauerhaft zu erhalten, hat sich in der Insolvenzpraxis die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes etabliert. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann bereits im Eröffnungsverfahren den zu diesem Zeitraum noch nicht entstandenen Anspruch auf Insolvenzgeld über eine Bank vorfinanzieren. Über diesen Mechanismus wird es dem insolventen Unternehmen ermöglicht quasi ohne Personalkosten für einen Zeitraum von drei Monaten die Insolvenzmasse anzureichern und den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Gleichfalls können sich die Arbeitnehmer auf eine gesicherte monatliche Zahlung verlassen. Die nachstehende Grafik stellt den Mechanismus bei Vorfinanzierung vereinfacht dar.

 

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IV. Zusammenfassung

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist in der Regel ein tiefgreifendes und folgenschweres Ereignis für den Arbeitgeber und seine Arbeitnehmer.

Zwar bestehen die Arbeitsverhältnisse zunächst fort, allerdings finden während des Insolvenzverfahrens zahlreiche weitreichende Sonderregelungen in Bezug auf die Kündigung und den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers Anwendung.

Wir beraten Sie gerne im komplexen System des Insolvenzarbeitsrecht. Wir vertreten Sie gerne, sofern Sie im Fall der Insolvenz Ihres Arbeitgebers die Ihnen zustehenden Vergütungsansprüche aus Ihrem Arbeitsverhältnis oder den Anspruch auf Insolvenzgeld geltend machen wollen. Weiterhin stehen wir Arbeitgebern gerne auf dem Weg innerhalb und außerhalb des Insolvenzverfahrens, auch bereits während der vorgelagerten Krise, beratend zur Seite, um Ihnen bestmöglich Ihre Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Bitte wenden Sie sich hierfür an unsere auf das Insolvenz- oder Arbeitsrecht spezialisierte Rechts- und Fachanwälte.

Dieser Blogbeitrag wurde erstellt durch Herrn Rechtsanwalt Dr. Maximilian Maierhofer mit freundlicher Unterstützung von Frau Simona Heusslein.

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