Die Betriebsgefahr eines Kfz tritt vollumfänglich zurück

Das Landgericht Hildesheim, das Oberlandesgericht Celle und der Bundesgerichtshof hatten über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Die Klägerin hatte mit einem BAK-Wert von 1,75 Promille Alkohol im Blut bei Dunkelheit und Regen eine Straße überquert und wurde dabei vom Beklagtenfahrzeug erfasst und schwer verletzt. Sie machte unter Berücksichtigung eines eigenen Verschuldensanteils von 75 % ein Schmerzensgeld von 20.000 € sowie die Feststellung, dass die Beklagten der Klägerin 25 % der zukünftigen Schäden zu ersetzen haben, geltend.

 Das LG Hildesheim als 1. Instanz hatte die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil wendete sich die Klägerin mit der Berufung. Mit Urteil vom 03.05.2012 hatte das OLG die Berufung zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hatte der BGH mit Urteil vom 24.09.2013 (VI ZR 255/12 =  NJW 2014, 217) das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Der BGH führte in den amtlichen Leitsätzen aus, dass bei einem Unfall zwischen einem Fußgänger und einem Kraftfahrzeug bei der Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 I BGB nur schuldhaftes Verhalten des Fußgängers verwertet werden darf, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen hat. Die Beweislast für den unfallursächlichen Mitverschuldensanteil des Fußgängers trägt regelmäßig der Halter des Kraftfahrzeugs. Das OLG hatte nach der Zurückverweisung ergänzend Beweis durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens eingeholt.

Das OLG hatte die Berufung sodann erneut zurückgewiesen.

Zur Begründung führte das OLG aus, dass die Beklagten grundsätzlich aus der Gefährdungshaftung haften, da sich der Unfall bei Betrieb des Fahrzeuges ereignet hat. Ein die Betriebsgefahr erhöhendes Verschulden hat die Klägerin nicht bewiesen. Der Sachverständige, der den Unfall bei nahezu gleichen Witterungsbedingungen und Sichtverhältnissen nachstellte, ermittelte eine Geschwindigkeit des Kfz  im Zeitpunkt der Kollision von 40 – 50 km/h. Bis ca. zwei Sekunden vor der Kollision war der Fußgänger nicht zu erkennen. Etwa eine Sekunde vor der Kollision war der Fußgänger für den Fahrer wahrnehmbar. Kollision und Reaktion auf das Wahrgenommene erfolgte zeitgleich. Nach den Feststellungen des Sachverständigen war der Unfall für die Beklagte zu 1) nicht vermeidbar. Ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls ist ihr nicht vorzuwerfen. Die verbleibende Gefährdungshaftung (Betriebsgefahr) auf Seiten der Beklagten entfällt vorliegend im Rahmen der Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs.1 BGB, weil der Unfall durch ein grob verkehrswidriges Verhalten der Klägerin verursacht wurden ist. Die Klägerin hat unter Verstoß gegen § 25 Abs.3 StVO in erheblich alkoholisiertem Zustand bei Regen und Dunkelheit eine Straße überquert, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Gegenüber der nicht ausgeräumten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges überwiegt das Verschulden der Klägerin mithin dermaßen, dass die Betriebsgefahr hinter dem Verschulden der Klägerin zurücktritt. 

Das OLG Celle hat im Ergebnis zutreffend eine Haftung aus Betriebsgefahr verneint. Die Betriebsgefahr besteht grundsätzlich bei Fahrzeugen, die im Straßenverkehr bewegt werden.  Eine in der Konstellation Kfz - Fußgänger verbleibende Haftung aus Betriebsgefahr kann allerdings wie in diesem Fall zurücktreten, wenn der Unfall für den Fahrer des Kfz unvermeidbar war und zudem das Verschulden des Fußgängers auf dessen verkehrswidrigen Verhaltens überwiegt. Entsprechend kann dieses Urteil auch auf das Verhältnis Radfahrer – Kfz angewandt werden.

vgl. OLG Celle  – Urteil vom 19.03.2015 – 5 U 185/11 

Bei Fragen zu diesem Thema oder anderen verkehrsrechtlichen Anliegen stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Maximilian Maierhofer oder Rechtsanwalt Dieter Korzenietz gerne zur Verfügung.

Autor: Rechtsanwalt Kastner

 

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